Guter Druck – böser Stress? Mentale Herausforderungen im Vertrieb

Wer sich für eine Tätigkeit mit Kundenkontakt entschieden hat, sollte mit Drucksituationen gelassen umgehen können. Doch die Realität sieht leider häufig anders aus. Viele Menschen in Verkauf und Vertrieb leiden unter dem täglichen Stress des Jobs, und das unabhängig von Branche, Aufgabengebiet oder hierarchischer Stellung.

Ein 35-jähriger Verkäufer meinte im Seminar auf die Frage, was er unter Druck und Stress im Verkauf verstehe: „Druck? Natürlich haben wird Druck. Bei uns sollen Anfragen am besten sofort bearbeitet werden, wir sollen für die Kunden immer erreichbar sein, die Ziele steigen jedes Jahr und lächeln muss ich dabei auch noch! Ganz schön stressig.“ Und sein 45-jähriger Kollege aus dem Key Account Management ergänzt: „Stress habe ich nur, wenn ich alles auf einmal erledigen soll, aber keine Zeit dafür habe. Aber Druck bekomme ich ständig und zwar von allen Seiten, dafür werde ich doch bezahlt, oder?“, und lacht.

Das sind anscheinend typische Beispiele für Druck und Stress im Vertrieb, an denen deutlich wird, dass jeder Mensch seine eigene Interpretation der Begrifflichkeiten sowie sein eigenes Verständnis davon hat, ob Druck bzw. Stress gut, schlecht oder schlicht notwendig sind.

Im Folgenden sollen die Begriffe Verkauf und Vertrieb synonym verwendet werden, da es sich beim Verkauf um die „direkt auf den Verkaufsabschluss gerichtete Kundenbetreuung“ und somit um einen Teilbereich der Absatzgestaltung eines Unternehmens (= Vertrieb) handelt.1 Die im Text genannten Berufsbezeichnungen, wie z.B. „Verkäufer“ umfassen alle auf den Verkauf ausgerichteten Tätigkeitsbeschreibungen. Aus Gründen der Vereinfachung wird immer nur die männliche Form erwähnt. Darin ist keine Wertung enthalten.

Stress – ein Wort mit vielen Bedeutungen

Umgangssprachlich wird zwischen Stress als Ursache und Stress als Wirkung unterschieden. So ist der reklamierende Kunde oder der Stau auf der Autobahn die Ursache für Stress („Der Kunde/ Stau ist ganz schön stressig.“). Aber auch die gefühlsmäßige Reaktion auf bestimmte Ereignisse können als Wirkung des Stresses verstanden werden („Ich habe Stress mit dem Kunden.“).

Die Begriffe Druck und Stress werden also nicht nur oft, sondern auch in den verschiedensten Situationen und Bedeutungen verwendet. Das führt dazu, dass fast jeder unter Druck oder Stress zu stehen scheint: Stress im Büro, Stress mit dem Chef, Stress mit den Kollegen, Stress mit den Kunden und Stress in der Familie. Stress ist ein Synonym oder Sammelbegriff für die verschiedensten Situationen geworden. „Ich habe gerade Stress“ könnte umgangssprachlich weiterhin bedeuten „Ich habe es eilig“, „Ich habe zu viel zu tun“, „Ich bekomme Druck von oben“, „Der Kunde will wieder eine Sonderbehandlung“ oder vieles mehr. Stress scheint ein inflationäres Sammelsurium für verschiedene Situationen zu sein, in denen wir irgendwie unter Druck stehen.

Dabei kann der Druck von außen kommen, wenn er durch das persönliche Umfeld ausgeübt wird, wie zum Beispiel von Kunden, Kollegen oder Vorgesetzten. Oder der Druck kommt von innen. Das heißt, der Druck geht von einem Selbst aus, z.B. durch das Setzen hoher Ziele aus. Druck gehört zum Berufsleben dazu. Die Frage ist, ob der Druck als angemessen empfunden wird. Ist das nicht der Fall, entsteht Stress.

Ein Beispiel

„Die Budgets bei den Kunden werden kleiner, sie wollen immer bessere Konditionen, der Wettbewerb macht jeden Preis und mein Chef macht Druck, dass ich meine Vorgaben erreiche. Ich weiß nicht mehr, wo das noch hinführt. Es wird mir einfach zu viel“, so eine Außendienstmitarbeiterin in der IT-Branche. Hier wird aus Druck bereits Stress.

Ist Stress im Vertrieb gut oder schlecht?


Wer im Vertrieb arbeitet, hat Vorgaben zu erfüllen. Es ist üblich, einen bestimmten Umsatz oder Deckungsbeitrag oder eine festgelegte Anzahl von Telefonaten, Besuchen oder Aufträgen erzielen zu müssen. Hinzu kommt, dass oft genug Aktivitäten vom Verkäufer gefordert werden, hinter denen er nicht steht, mit denen er sich nicht identifizieren kann. So sagte mir ein Bankangestellter: „Jeden Tag muss ich Kunden anrufen, die mir vom System vorgegeben werden. Ich muss sie auf Produkte ansprechen, die mir mein Teamleiter vorgibt. Ob das Sinn macht, habe ich nicht zu entscheiden. Aber wenn Sie mich fragen, natürlich macht es keinen Sinn“.

Situationen wie diese sind der Hauptgrund dafür, dass viele Menschen zu Recht der Meinung sind, Stress sei schlecht für sie.

Wenn Sie also im Vertrieb oder Verkauf das Gefühl haben, die Anforderungen der Kunden oder Vorgesetzten nicht erfüllen zu können und vielleicht zudem dringend ein Erfolgserlebnis brauchen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Sie unter Druck stehen und sich dabei auch gestresst fühlen. Das Gefühl von Stress ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche Gefühlslagen: Hilflosigkeit, Verzweiflung, Angst oder Aggression. Das eigentliche Gefühl, das wir mit Stress verbinden, kann also unterschiedliche Formen annehmen und ist meist negativ.

Es gibt aber auch viele Menschen, die der Meinung sind, Stress sei gut und treibt sie an. „Ohne Stress bin ich nicht erfolgreich. Ein Leben ohne Stress kann ich mir nicht vorstellen. Ich brauche doch hohe Ziele, wenn ich Karriere machen will!“, so ein 30-jähriger Außendienstler. Wir sehen, Stress scheint nicht nur ein Modewort, sondern fast schon eine Glaubensfrage zu sein – Menschen glauben, dass sie ohne Stress nicht erfolgreich sein könnten.

Hier wird die gute Form von Stress angesprochen. Hans Selye, einer der Väter der Stress-forschung, hat hierfür den Begriff Eustress (griech. „eu“ = gut) geprägt. Dabei handelt es sich um eine Art Leistungs- oder Siegeswillen, den wir im Verkaufsalltag unbedingt brauchen. Solange wir selbst entscheiden können, ob die Intensität und die Dauer des Druckes angemessen sind, macht es keinen Sinn, diesen Teil des anspornenden Drucks vermeiden zu wollen. Doch wie in der Medizin wird die Wirkung durch die Dosis bestimmt. Ein „zu viel“ positiven Drucks ist ebenfalls nicht gut. Wer zu stark für eine Sache brennt, kann auch ausbrennen.

Begriffliche Abgrenzung Druck und Stress

Auch viele Vorgesetzte finden Stress gut. „Wenn ich das Team an der langen Leine lasse, macht doch jeder, was er will. Also: Druck zu machen und meine Leute hier und da unter Stress zu setzen, gehört mit zu meinem Job. Wir haben schließlich alle dasselbe Ziel“, so ein Vertriebsleiter eines Dienstleistungsunternehmens.

Durch Druck alleine entsteht noch kein Stress. Die Frage ist, wie der Druck bewertet und empfunden wird, und zwar von demjenigen, der den Druck empfängt. Stress ist das Ergebnis, wenn diese mentalen Herausforderungen im Vertrieb nicht gemeistert werden können. Deswegen sollen Druck und Stress wie folgt abgegrenzt werden:

  • Druck im Vertrieb ist weder gut noch schlecht. Druck ist ein natürlicher Bestandteil der Arbeitsumgebung im Verkauf. Wird Druck nicht als Belastung, sondern als Inspiration oder Bereicherung empfunden, also positiv bewertet, wirkt er motivierend und treibt an.
  • Wird Druck als negativ eingeschätzt, als Belastung oder Bedrohung empfunden, entsteht Stress. Stress umfasst das Durchlaufen einer autonomen Wirkungskette im Körper. Stress kostet Performance und macht auf Dauer krank.

Damit soll eine fundamentale Eigenschaft von Stress deutlich werden. Wirkt eine Situation oder bloß ein Gedanke auf uns bedrohlich oder belastend, wird die Stress-Wirkungskette in unserem Körper gestartet. Das heißt, es läuft dann immer der gleiche Prozess in unserem Körper ab.

Das bedeutet zweierlei:

  • Kurzfristig: Bereits in Millisekunden wirkt sich Stress auf unsere Ausstrahlung und die Überzeugungskraft aus – und das nicht nur mit zum Teil erheblichen Folgen in Verkaufsgesprächen, Erstkontakten oder Preisverhandlungen. Ein Verkäufer, der unter Stress steht oder auch nur einen negativen Gedanken während eines Verkaufsgespräches hat, wirkt weniger souverän, gelassen und überzeugend. Er beeinflusst damit die Beziehungsebene und die Kaufbereitschaft des Kunden in wenigen Sekunden negativ. Das kann bereits der Anfang einer Negativspirale sein: weniger Abschlüsse führen zu noch mehr Stress.
  • Mittel- und langfristig: Ein sehr häufiges oder dauerhaftes Auslösen der Stress-Wirkungskette führt zu chronischem oder akutem Stress mit Symptomen wie z. B. Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Heißhunger, Kopfschmerz, Tinnitus oder Herzinfarkt. Bereits im Jahr 2003 stellte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fest, dass Stress ei-ne der größten Herausforderungen für die Gesundheit von Arbeitnehmern, Managern und auch deren Organisationen ist. Negativer Druck und Stress machen krank und kosten Lebenszeit. So belegen einige Studien, unter anderem die bekannte „Nonnen-studie“, dass optimistische Menschen länger leben und seltener krank werden.

Zwischenfazit:

Auch wenn viele Menschen glauben, die anderen oder die Umstände seien am eigenen Stress schuld (z. B. Kunden, Kollegen, Wettbewerb), zieht jeder die Trennlinie zwischen positivem und negativem Druck durch die individuelle Einschätzung der Situation selbst. Diese Einschätzung wiederum beruht größtenteils auf der eigenen Erfahrung.