Zusammenfassung eines Workshops der Universität St. Gallen in Kooperation mit Mercuri International unter Beteiligung namhafter Unternehmen, April 2018
Kernthese:
Speziell im Konsumgüterbereich erfolgt die Kundenkommunikation oft über breit angelegte Mediakampagnen. Mit Hilfe dieser Kampagnen werden „Produktpersönlichkeiten“ geformt und für die Verbraucher „Identifikationswelten“ geschaffen. Prof. Belz: „Die meisten dieser Kampagnen sind jedoch austauschbar“. Aus seiner Sicht braucht es „reales Marketing“ statt reiner Imagekampagnen. Unternehmen dürfen sich nicht nur mit Kampagnen zur Vermittlung von „Identifikationswelten“ beschäftigen. Vielmehr müssen die Schritte des Kunden zum Kauf in den Mittelpunkt ihrer Marketing- und Vertriebsaktivitäten gestellt werden. Das „reale“ Marketing fordert daher eine Abkehr vom „schönen“ Marketingparadigma und stützt sich auf die Handlungen des Kunden in etappierten Kaufprozessen mit situativen Einflüssen. Es geht darum, für die verschiedenen Phasen des Kundenkaufprozesses dem Kunden die Informationen zur Verfügung zu stellen, die er in dieser Phase braucht. Der Kunde wird also mit anderen Worten im Kaufprozess kommunikativ begleitet. Wichtige Ansätze sind hierbei analytisches Customer Relationship Management, Web- und Social Mining, Beobachtung und Eye-Tracking, sowie Microverhaltensanalysen. Im Mittelpunkt dieses bottom-up Vorgehens stehen Stellhebel im Kundenprozess, um den Kunden zum Kauf zu führen. Dies gilt für BtoB und BtoC gleichermaßen.
Die Diskussion der Workshopteilnehmer zeigte, dass das tiefe Verständnis der Kundenkaufprozesse einen wichtigen Beitrag zur gezielten Kundenansprache leisten kann. Diskussionsthemen:
- BtoB Buying Center Analyse: Wie können Verkäufer – trotz knapper Verkaufszeit – die Kaufschritte des Kunden systematisch analysieren? Bislang beschränken sich solche Prozessanalysen – wenn sie denn überhaupt stattfinden – auf Key Accounts oder das Projektgeschäft. Meist geht man jedoch von Vermutungen aus. Es würde sich lohnen, einmal 5 erfolgreiche und 5 erfolglose Projekte zu analysieren und miteinander zu vergleichen, um daraus dann Schlussfolgerungen zu ziehen. Aber dazu müsste man zunächst ermitteln, wer denn wirklich beim Treffen einer Kaufentscheidung in welchem Umfang auf Kundenseite beteiligt und wie groß der Einfluss war und nach welchen Kriterien entschieden wurde. In Ermangelung konkreter Informationen stellt man in vielen Fällen stattdessen Vermutungen an. In den CRM Systemen findet sich deshalb auf die Frage, warum ein Projekt verloren gegangen ist, oft die Antwort, „unsere Preise waren zu hoch“ wieder. Die Antwort ist „sozial akzeptiert“ und für den Verkäufer einfacher zu verteidigen als eine mögliche Antwort wie „die Beratung war nicht kompetent genug“ oder „der Mehrwert der Lösung war nicht transparent“.
- Letztlich braucht es fundierte Daten. Das Thema Market Intelligence spielt eine entscheidende Rolle. Aktuell erfolgt meist nur eine intuitive Kundeneinschätzung. Unternehmen, die hier eine Lösung finden, verfügen über einen Wettbewerbsvorteil.
- Modulare Aktivitäten entlang der Kaufprozesse: Die Erkenntnisse aus der Analyse der Kundenkaufprozesse fließen ein in die Erarbeitung prozessorientierter Aktivitäten. Das strategische Key Account Management eines internationalen Versicherungsunternehmens erstellt in diesem Zusammenhang z.B. 360 Grad Betrachtungen des Kunden an, um eine langfristige Beziehung und Partnerschaft aufzubauen. So sollen „Pain Points“ und mögliche „Türöffner“ identifiziert werden. Im B2B Bereich stellt man den Mitgliedern von Buying Centern – je nach Funktion – Wirtschaftlichkeitsberechnungen, Referenzen, Fallstudien, Muster o.ä. zur Verfügung. Im B2C Bereich hat sich z.B. beim Kauf von Urlaubsreisen herausgestellt, dass in der frühen Phase des Kaufentscheidungsprozesses Kataloge immer noch eine hohe Bedeutung haben.
- Digitale Verkaufsprozesse: Hier geht es z.B. um die Frage „mit welchen digitalen Tools können wir die Leadgenerierung verbessern“. Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang u.a. die Bedeutung der Website der Anbieter. Die Anzahl der Leads kann z.B. erhöht werden indem den Kunden interessante Informationen angeboten werden, die er über die Website des Anbieters abrufen kann. Das Aktivitätsmuster des Kunden – wie die Anzahl der Besuche der Website oder die Anzahl von Downloads – wird dann auch zu einem wichtigen Faktor der Leadqualifizierung. Sorgfältig qualifizierte Leads beinhalten auch eine höhere Abschlußwahrscheinlichkeit. Für die Einsatzsteuerung der Verkaufsmannschaft ist es sehr wichtig, Verkaufszeit möglichst nur bei „qualifizierten“ Leads zu investieren. In Unternehmen werden deshalb auch immer häufiger Abteilungen zur Leadgenerierung und -qualifizierung etabliert, die zum Beispiel Telefoninterviews mit Kunden führen und auf Basis der Ergebnisse Leads in A, B oder C klassifizieren. Verkaufszeit wird anschließend zunächst nur in A-Leads investiert.
Der Verkauf muss als ganzheitliches Kundenmanagement verstanden werden. Der Schwerpunkt auf Kundenprozesse birgt wichtige Zugänge für Unternehmen, um bestimmte Schritte des Kunden mit einem großen Arsenal an Instrumenten und Kanälen in Marketing und Vertrieb zu begleiten. Hier spielt der Verkäufer nach wie vor eine entscheidende Rolle. Nur was der Verkäufer in der Interaktion mit dem Kunden auch tatsächlich transportiert, findet auch wirklich statt und kann Wirkung erzielen. Für Verkäufer ist die genaue Kenntnis der Kundenkaufprozesse ein essentieller Erfolgsfaktor. Daran richtet er aus, mit wem und zu welchen Inhalten er seine Verkaufszeit verbringt.