Umsetzung von Value Selling – Praxisbeispiel Atlas Copco

Die Kompressoren und Expander der Atlas Copco ‚Gas and Process Division‘ kommen in verschiedenen Bereichen zum Einsatz. Praxisbeispiele finden sich in der Luftzerlegungsindustrie und in der Wertschöpfungskette der Gasindustrie von der Förderung über den Transport bis zur Stromgewinnung.

Komplexe Maschinen sind in größere Anlagen eingebettet: Dass hier Wartung und Instandhaltung notwendig sind, liegt auf der Hand. Doch diese umfassenden Leistungen betrachten die Kunden oft nur als Standard, und es ist herausfordernd, den Wertbeitrag und die Merkmale der Differenzierung einzubringen. Hier leistet Value Selling seinen Beitrag. Atlas Copco bietet zusätzlich einen breiten Fächer an Dienstleistungen rund um ihre Turbokompressoren und Expander. Diese werden in der Folge näher betrachtet.

Multiple Werte im Entscheidungsprozess des Kunden


Zunächst lohnt sich ein Blick auf die Entscheidungsprozesse im Markt, um eine spezifische Herausforderung für den Vertrieb von Atlas Copco ‚Gas and Process Division‘ darzustellen. Der Kompressor bzw. der Expander stellt in vielen Fällen das ‚Herz‘ einer Anlage dar und ist gleichzeitig der größte Verbraucher an Energie. Insofern ist die Auswahl der richtigen Turbine beziehungsweise des Luftzerlegers eine relevante Größe für die Beteiligten im Markt. Im Kern treten dabei – neben den Lieferanten – zwei relevante Spieler auf: Der Endkunde und der sogenannte EPC (zuständig für Engineering Procurement Construction), also der Generalunternehmer, der die Anlage plant und baut. Der Endkunde kann als reiner Investor oder Lizenzgeber für den Prozess fungieren oder auch die Anlage selbst betreiben. Der EPC kann ebenfalls im Anschluss den Betrieb der Anlage übernehmen, oder es kommt eine weitere Partei als Betreiber ins Spiel.

Durch die Brille des Value Selling betrachtet, besteht die Kunst darin, das Spannungsfeld zwischen den unterschiedlichen Wertvorstellungen der Akteure zu verstehen und sie weitestgehend zu erfüllen. So sind beispielsweise dem EPC der Preis, eine verlängerte Garantiezeit und die leichte Integration in die Anlage wichtig, während der Investor eher auf seinen Return on Investment achtet und somit Effizienz und Output der Anlage wichtig werden. Damit werden beispielsweise technisch höherwertige Lösungen für ihn interessanter. Aus Betreibersicht ergeben sich dann weitere Erwartungen, bezogen auf die Betriebskosten, etwa für Energie und Wartung. Hinzu kommt, dass der Entscheidungsprozess eineinhalb bis fünf Jahre dauern kann und sich im Laufe dieses Zeitraumes die Anforderungen oft noch ändern. Gerade zum Abschluss hin wird es jedoch oft hektisch, und die Kunden wollen die Angebote am besten gestern haben. Hier sind dann Einsatzwille und Flexibilität der Mitarbeitenden gefragt. Denn so kann auch die eigene Leistungsfähigkeit demonstriert werden.

Kundenprozesse begleiten


Üblicherweise beginnt der Prozess für die Atlas Copco ‚Gas and Process Division‘ mit einem ersten Richtpreis-Angebot, das der EPC als der Generalunternehmer für die Anlage dann weiter in seine Kalkulation und Planungen einbezieht. Hier nutzt die Division bereits ihr Value-Potenzial. Vonseiten des Vertriebs startet ein Tandem aus Mitarbeiter im Außendienst und Angebotsingenieur den Verkaufsprozess. Beide Parteien suchen bereits in dieser Phase nach Möglichkeiten, Atlas Copco im Vergleich zum Wettbewerb zu differenzieren. Dazu gehört, dass die Expertise von Atlas Copco eingesetzt wird, um den EPC in seinem Rennen um den Auftrag gut zu positionieren. Konkret kann das bedeuten, dass Hinweise zur technischen Realisierung gegeben werden, die von den ursprünglichen Spezifikationen abweichen, allerdings eine bessere (effizientere) Lösung für den Endkunden bieten.

Der Vertrieb von Atlas Copco ‚Gas and Process Division‘ muss dabei die richtige Balance in seiner Angebotsstrategie finden, da oftmals der EPC ein Interesse hat, gewisse Leistungen und Werte eher zu ‚verschleiern‘, um eine günstigere Turbine oder einen günstigeren Expander in seiner Anlage beim Kunden platzieren zu können. So schafft er sich Raum für seine Kalkulation und die Gewinnspanne. Die Kunst liegt nicht darin, die Lösung mit dem besten Wert zu liefern, sondern mit dem passenden Wert. Dabei gilt es dann weiter auszuloten, inwieweit weitere Services von Atlas Copco attraktiv sind und sich im weiteren Verlauf des Entscheidungsprozesses als relevantes Merkmal zur Differenzierung eignen.

Teams für Kunden


Auch hier ist wieder ein wichtiges Element des Value Selling gefragt. Es gilt, die eigenen Ressourcen auf den Kunden auszurichten. Neben dem Duo Außendienstmitarbeiter und Angebotsingenieur ist es erfolgskritisch, auch Einkäufer und auch jemanden aus dem Produktmanagement einzubinden. Im Team lassen sich so technische Alternativen für den Kunden prüfen, um dem Wunsch nach der passenden Lösung gerecht zu werden und Optionen für veränderte Anforderungen zu haben, um rechtzeitig zu reagieren oder sie selbst vorzuschlagen.

Zwar bekommt Atlas Copco auch viele Aufträge über ‚veränderte Maschinen‘, weil Kunden den Mehrwert zu schätzen wissen, doch steigt auch gleichzeitig das Risiko, dass der Kunde sich nicht verstanden oder sogar in seiner Kompetenz bedroht fühlt. Leistungen, wie Planung, Inbetriebnahme, Wartung, Inspektion, Rund-um-die-Uhr-Betreuung und Ablaufoptimierung usw. würde er vielleicht eher selbst durchführen, und er möchte sich ungern in die ‚Karten schauen‘ lassen. Insofern gilt es auch hier, die passenden Services auszuwählen sowie nach und nach den Bedarf für weitere Leistungen zu wecken.

Werte für Kunden


Die genannten Beispiele zeigen, dass die Werte nicht nur alleine in den technischen Merkmalen des Produktes liegen, sondern die Lösung durch ein passendes Dienstleistungsspektrum ergänzt und mit Expertise und weiteren Ressourcen (Produktmanagement und Einkauf) angereichert wird. Damit sind auch die vier Dimensionen, aus denen Werte generiert werden können, abgedeckt (siehe Abbildung 1).

Atlas Copco ‚Gas and Process Division‘ ist somit darauf vorbereitet, dem Kunden im Entscheidungsprozess wie auch im Betrieb die geforderten und passenden Werte zu liefern. Darüber hinaus kann Atlas Copco die in der Abbildung aufgeführten Dimensionen der Werte für den Kunden kombinieren, wenn die Anlage den aktuellen Anforderungen nicht mehr genügt. So können sich beispielsweise durch neue Prozesse und Verfahrenstechniken die Anforderungen an Druck, Durchfluss oder Emissionen ebenso ändern, wie das Molekulargewicht der im Prozess befindlichen Stoffe, wenn die Produktion geändert wird. Dies hat dann Auswirkungen auf die Aerodynamik (z.B. Flügelstellung der Turbine), die Mechanik (z.B. Lager, Motoren) und die Kontrollsysteme der Anlage und würde erhebliche Kosten und gegebenenfalls einen (teilweisen) Neubau nach sich ziehen.

Abbildung 1: Wertdimensionen für Atlas Copco ‚Gas and Process Division‘

Werte beim Aftermarket Service


Mit dem Fachwissen der Experten vor Ort ist Atlas Copco in der Lage, eine Möglichkeitsstudie auf Basis der neuen Anforderungen durchzuführen, die dem Kunden die verschiedenen Optionen zeigt. Das kann beispielsweise Veränderungen am Spiralgehäuse der Turbine oder am Ansaugstutzen bedeuten. Für diese ‚Aftermarket‘-Dienstleistungen setzt Atlas Copco eine eigene Vertriebsmannschaft ein, da hier viel tieferes Know-how über die Anlage, ihre Anwendung wie auch die spezifischen Gegebenheiten vor Ort erforderlich ist. Ein Team von Technikern und Vertriebsmitarbeitenden vor Ort, zusammen mit weiteren Spezialisten aus dem Application Center, entwickelt die passende Lösung und berücksichtigt dabei, wie eine optimale Installation aussehen könnte, ohne dass immense Investitionen für einen Neubau von Teilen der Anlage nötig werden. Hier spürt der Kunde den Zeitgewinn sowie die Kosteneinsparungen, die durch die Bündelung der Ressourcen sowie die Expertise und Infrastruktur von Atlas Copco ‚Gas and Process Division‘ ins Spiel kommen.

Als Zeitraum zur Durchführung der Maßnahmen kommt oft nur der geplante ‚Shutdown‘ der Anlage in Betracht. Die Herausforderung ist dann, viele Arbeiten parallel an vielen Stellen der Anlage auszuführen, um die engen Zeitpläne auch einzuhalten. Hier sind dann die Erfahrung des Teams und der richtige Ressourceneinsatz gefragt: Was kann beispielsweise bereits im Vorfeld vorbereitet oder muss ‚nur‘ ausgetauscht werden? Was wird in welcher Reihenfolge bearbeitet? Dennoch sind vor Ort – ähnlich wie in der Abschlussphase des Verkaufsprozesses der Anlage – Einsatzwille und Flexibilität gefragt. Am Ende hat der Kunde eine überarbeitete Anlage und meistens auch ein Upgrade der Kontrollsysteme, die den neuen Anforderungen gerecht werden, ohne dass Investitionen in einen Neubau oder längere Unterbrechungen des Betriebs der Anlagen erforderlich sind. So werden die von Atlas Copco gelieferten Werte dann greifbar.

Folgerung


Die Atlas Copco ‚Gas and Process Division‘ ist weltweit in der Lage, über den gesamten Lebenszyklus der Anlage dem Kunden Werte zu bieten. Dabei werden die jeweiligen Dimensionen, aus denen Werte generiert werden (Produkte, Services, Fachwissen, Infrastruktur) entsprechend gebündelt. Die Herausforderung besteht vor allem darin, dass weder die technische Lösung noch die Dienstleistungen ‚over-engineered‘ sind, sondern den jeweiligen Akteuren passgenau offeriert werden. Es geht also nicht darum, die maximale Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, sondern differenziert den Kundenanforderungen zu entsprechen.

Der Bereich Human Resources spielt dabei ebenfalls eine wichtige Rolle. Hier wird dafür gesorgt, dass die jeweiligen Manager die nötigen Werkzeuge an die Hand bekommen, um mit ihren Mitarbeitern tatsächlich den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Zwar ist Kundenorientierung als Anspruch verbreitet, nur selten aber so konsequent eingelöst. Für die Führungskräfte bedeutet es, die Mitarbeitenden immer wieder herauszufordern: Ist die komplexe Entscheidungslage über den langen Zeitraum transparent? Wird die passende Lösung für den Kunden angeboten? (Wie) Lässt sich vermeiden, dass sich das Unternehmen nicht doch im technischen Optimum verstrickt? Ingenieurwissenschaftliche Höchstleistungen können zwar begeistern oder faszinieren, doch braucht es auch den Kunden, der in diese Lösung investiert. Coaching sowie kontinuierliche interne und externe Weiterbildung sind für Atlas Copco wesentliche Elemente, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend ihrer Kompetenzen in die für sie selbst und das Unternehmen bestmögliche Richtung zu entwickeln. Dazu gehört, dass Prozesse definiert werden, in denen Mission Statement und Unternehmensstrategie (also die Basis für Value Selling) für die Mitarbeiter ‚greifbar‘ und damit umsetzbar gemacht werden. Dann wird auch in der Umsetzung ‚going the extra mile‘ von allen gelebt.