Value Selling Teil 1 – Ansätze für mehr Professionalität im Verkauf

Value Selling funktioniert erst dann, wenn sich die Verkaufsprozesse und Gespräche mit Kunden verändern. Damit werden an den Verkäufer und auch weitere Personen mit Kundenkontakt im Unternehmen neue und anspruchsvolle Anforderungen gestellt. Value Selling wird damit durch den Zuwachs an Erfolg zwischen dem alten und dem neuen Vorgehen bei einem Unternehmen und seinen Kunden bestimmt. Vertrieb ist dabei differenziert, wie beispielsweise auch die empirischen Studien von Weibel (2014) deutlich zeigen. So setzen Anbieter von Anlagen, Systemen, Produkten sowie Zulieferer sehr verschiedene Akzente, um im Verkauf erfolgreich vorzugehen. Innerhalb dieser Felder setzen einzelne Unternehmen nochmals spezifische Schwerpunkte.
Die möglichen Veränderungen lassen sich wie folgt beschreiben (und hängen auch zusammen, wie die Beispiele verdeutlichen). Allerdings ist es zweckmäßig, das Value Selling eines Unternehmens auf einzelne oder wenige Themen zu fokussieren.
In diesem White Paper konzentrieren wir uns auf 1) Vom Produkt- zum Lösungsanbieter und 2) Vom Einkaufspreis zur Wirtschaftlichkeit.

Vom Produkt- zum Lösungsanbieter


Zahlreiche Anbieter in Industrieländern suchen den Weg in Richtung Premium-, Mehrwert- oder Lösungsanbieter. Ziel ist dabei, die Kundenbedürfnisse umfassender und besser als die Wettbewerber abzudecken und damit die eigene Wertschöpfung und Rentabilität zu steigern. Dazu gilt es, die Leistungen für Kunden zu konfigurieren, zu kommerzialisieren und zu kommunizieren. Voraussetzung sind eigene Kompetenz des Unternehmens für angestrebte Kundenlösungen oder geschickte Kooperationen (umfassend Belz/Bieger 2011). Industrieunternehmen bewegen sich von der Technologie- zur Markt- und Kundenorientierung.
Die Produkte können den Mehrwert für Kunden bereits einschließen. Herausragend ist das Beispiel von Geberit. Das Unternehmen realisiert die höchsten Preise im Markt und ist dabei in den meisten Ländern klarer Marktführer.
Lange Zeit stand im Vordergrund, die Leistung für Kunden zu erweitern. Inzwischen gilt es vermehrt, die Leistungen für Kunden zu spezifizieren: „It’s almost like taking the sales out of selling, quite frankly – instead of seeing how many products we can push out in the marketplace, it’s about how successful we can make our customers“ (Terho et al. 2012, S. 178). Überoder Blindleistungen schwächen die Anbieter, weil unwirksamer Aufwand betrieben wird. Deshalb ist es wichtig zu klären, welche Leistungen abgebaut, reduziert, gehalten oder forciert werden sollen (Kim/Mauborgne 2005). Das betrifft die Ausrichtung des Unternehmens generell, die Kundensegmente und einzelne Kunden.
Stufen: Folgende Stufen der Lösungsorientierung lassen sich erfassen:

  1. produktbegleitende Services: Solche produktbezogenen Dienstleistungen reichen von Ersatzteilen, Reparatur und Wartung, Kundenschulungen bis hin zu Erleichterungen in der Finanzierung. Sie lassen sich selektiv (je nach ihrem Erfolg) vermarkten oder zu Leistungspaketen für verschiedene Kunden verbinden. Im After-Sales-Bereich realisieren Unternehmen meist weit höhere Margen als im Geschäft mit Produkten, Komponenten, Baugruppen oder Systemen.
  2. gezielte Begleitung von Kundenprozessen: Services werden in dieser Stufe konsequent an den Informations-, Entscheidungs- und Nutzungsprozessen des Kunden orientiert. Damit begleiten die Lieferanten ihre Kunden wirksam und steigern ihre Chance, an wichtigen Hebeln zur Fortsetzung des Geschäfts ansetzen zu können.
  3. neue Geschäftsmodelle: In unterschiedlicher Form beteiligen sich Lieferanten am Erfolg ihrer Kunden. So verkaufen wie beispielweise den Nutzen statt den Besitz ihrer Geräte und Maschinen. Ein Beispiel ist das Fleet Management von Autos bis zu Geräten. Im Contracting gelingt es, die Ziele der Kunden und der Lieferanten besser und erweitert aufeinander abzustimmen (Wünsche 2010). Ebenso lassen sich diesem Ansatz verschiedene Lösungen des Outsourcing zuordnen, bei denen Lieferanten in eigener Verantwortlichkeit bestimmte Aktivitäten von Kunden übernehmen.

Beispiel Steeltec – Providing Special Steel Solutions
Steeltec (ein Unternehmen der Schmolz+Bickenbach Gruppe) hat sich der Aufgabe verschrieben, den Werkstoff Stahl besser und stärker zu machen. Die Qualität des Stahls bestimmt die Eigenschaften der Teile, die daraus gefertigt werden. Die Geschwindigkeit und Leichtigkeit, mit der diese Teile hergestellt werden können, bestimmen die Wettbewerbskraft der Kunden. Stahl von Steeltec wird dort eingesetzt, wo Präzisionsteile höchste Anforderungen an Belastbarkeit und Sicherheit erfüllen müssen, millionenfach, sicher und verlässlich über Jahre hinweg. Teile, die gleichzeitig rationell und zu tiefsten Kosten produziert werden müssen.
Das Unternehmen orientiert sich schrittweise immer stärker an Gesamtlösungen für Kunden der Automobilindustrie und weiterer Segmente. Die folgende Abbildung 1 zeigt den Ansatz des Performance Marketing oder das Leistungspaket.

Abbildung 1: Die Lösungsorientierung betrifft Technik, Logistik, Produkte, Know-how, Führungssystem, Organisation, Prozesse und Personen des Unternehmens

Anforderungen an den Verkauf: Verkäufer und Spezialisten verkaufen nicht nur Produkte, sondern ebenso einzelne Services und Lösungen. Die Ansprüche steigen drastisch: Mehr Knowhow über Kunden und Leistungen, mehr Koordination von internen Spezialisten und Mitarbeitenden des Kunden, längerfristige Bearbeitungsschritte des Kunden (allenfalls in Projekten), Aufbau und Pflege von Beziehungsnetzen, komplexe Angebote und schwierige Preisverhandlungen (Loss 1996).
Gleichzeitig ist für den Erfolg des Unternehmens die Balance zwischen eigener Leistungsfähigkeit und verkauften Lösungen entscheidend. Sobald Verkäufer individuelle Lösungen verkaufen, welche nicht den definierten Kernleistungen des Unternehmens entsprechen, verselbstständigen sich Kundenlösungen. Unwirtschaftliche Zusätze, Ad-hoc-Leistungen oder gestörte Prozesse sind die Folge. Standardisierung und Multiplikation bleiben verbreitete Erfolgsprinzipien.
Der Kunde wählt bei der Unterzeichnung von Verträgen oft nur Teile der späteren Lösung eines Lieferanten. Nach dem Zuschlag entwickeln sich, komplexere Projekte, die Anforderungen der Kunden ändern sich, und der Aufwand der Kundenbearbeitung nimmt laufend zu. Nicht selten strebt der Kunde an, weitergehende Leistungen in den ursprünglichen Projektumfang zu integrieren. Die Lieferanten versuchen ihrerseits, entstehende Leistungen zusätzlich in Rechnung zu stellen. Es gilt deshalb, die Leistungspakete als dynamischen Prozess zu gestalten. Begleitet wird die Zusammenarbeit durch laufende Verhandlungen.

Vom Einkaufspreis zur Wirtschaftlichkeit


Lieferanten beanspruchen für sich, dass sie besser als andere Anbieter zum Erfolg der Kunden beitragen. Sie übernehmen Leistungen, die bisher der Kunde selbst erbrachte, sie konfigurieren bessere Lösungen, sie senken die Kosten und steigern die Erträge der Kunden. Dabei besteht die Herausforderung, den klar fassbaren Einkaufspreisen für Produkte die umfassenden Total Cost of Ownership oder Total Cost of Operations gegenüberzustellen und die Einkaufskriterien und das Werterlebnis der Kunden in Richtung Wirtschaftlichkeit zu verändern.
Folgende Stufen lassen sich unterscheiden:

  1. Interne Kostentransparenz nach Kunden: Erste Voraussetzung zur Kommerzialisierung von Lösungen ist, die Leistungen des Unternehmens bezogen auf Kundengruppen und Kunden zu erfassen. Ohne diese Basis bleibt es nahezu unmöglich, den Erfolg des Lösungsgeschäftes zu steuern und auch gegenüber dem Kunden zu vertreten.
  2. Verrechnung von spezifischen Services: Es ist einfach, die Services für Kunden zu steigern. Allenfalls lässt sich damit auch ein Preisverfall verlangsamen. Die Verrechnung der Services ist aber nötig, um fallenden Produktmargen und steigenden Serviceaufwendungen zu begegnen. Dabei spielen verschiedene Varianten der Preisverrechnung mit Bündelung oder Trennung für den Kunden eine Rolle, die auch mit seinen Wahlmöglichkeiten zusammenhängen.
  3. Quantifizierung des Kundennutzens: Lösungsbausteine oder Lösungen müssen zum Erfolg des Kunden beitragen. Die Argumente der Lieferanten sind zahlreich, ebenso vielfältig und anspruchsvoll ist es, den Kundennutzen zu belegen. Allenfalls lässt sich mit Kundenfällen arbeiten, wenn die Situation für jeden Kunden sehr spezifisch ist. Für einzelne Beispiele ist ein konkreter Erfolgsnachweis möglich. Die Quantifizierung des Kundennutzens beruht immer auf Kosten- und Ertragsinformationen von Kunden und es gilt, die Marktmechanismen in der Kundenbranche zu verstehen.

Wirtschaftlichkeit gilt es zu vergleichen; die Bezugspunkte sind Leistungen des Wettbewerbs, bisherige Lösungen des Kunden oder frühere Leistungen eines Lieferanten. Zudem ist der Zeitverlauf einer Beschaffung zu beachten, was etwa für Berechnungen zum Payback einer Investition für Kunden wichtig ist. Nicht selten haben Kunden auch definierte Spielregeln für ihre Investitionen.
Manche Lieferanten richten auf ihrer Internetseite gezielte Evaluations- und Berechnungsmodelle ein. Sie erlauben so dem Kunden, mit seinen eigenen Daten seine Einsparungen bei einer Umstellung zu erfassen oder den Break-even einer Investition zu berechnen.

Das folgende Beispiel zeigt, wie sich ein Anbieter aus dem Commodity-Geschäft konsequent im Bereich der dritten Stufe bewegt.


Beispiel Bossard – Schrauben und Verbindungstechnik
„Wir leben in einer faszinierenden Welt – umgeben von grossartigen Produkten. Um sie zusammenzubauen, braucht es tausende kleine Teile – wie zum Beispiel Schrauben und Muttern. Wir von Bossard schauen ganz genau hin – und suchen das verborgene Potenzial der Verbindungstechnik. Wir helfen unseren Kunden, dieses Potenzial zu erkennen und damit ihre Produktivität zu steigern.
Jede Lösung, die wir schaffen, zielt darauf ab, dass sie eine höhere Produktivität erreichen:

  • Durch Beratung, damit die Auswahl des Befestigungselements und der Anwendung richtig erfolgt
  • Durch aktive Unterstützung des Produktdesigns mit Hilfe unserer technischen Erfahrung
  • Durch Umsetzen schlanker Prozesse beim C-Teile Management.
Abbildung 2: Leistungsstufen von Bossard (Bossard 2015)

Die Gesamtbetriebskosten (TCO) bei Verbindungselementen ist der Bezug für die Zusammenarbeit mit Kunden. Um das TCO-Modell für Verbindungselemente besser erläutern zu können, benutzen wir das Eisberg-Modell.

Abbildung 3: Eisberg -Modell für die Gesamtbetriebskosten bei Bossard Verbindungselementen (Bossard 2015)

Innerhalb der Verbindungskosten liegt der Preis des Elementes nur bei etwa 15 %. Die restlichen 85 % der Kosten werden für Entwicklung, Beschaffung, Prüfung, Inventur, Fertigung und Logistik aufgewendet. Diese weiteren Bestandteile der Ereigniskette belasten das Verbindungs-Ecosystem mit zusätzlichen Kosten. Die Erfahrung in der Industrie zeigt klar auf, dass man in den Bereichen Logistik und Engineering rund 50 % Kosteneinsparungen erzielen kann. Dies hat eine erhebliche Auswirkung auf die Gesamtkosten des Endproduktes. Bei Bossard haben wir diese Fakten erkannt und nehmen die Herausforderungen an. Jede Lösung, die wir entwickeln, ist darauf ausgerichtet, die Kosten für Verbindungselemente in Übereinstimmung mit dem TCO-Konzept zu verringern. Dies nennen wir die ,15/85-Regel‘.“ (Bossard 2015)
Das Unternehmen veröffentlichte eine Dokumentation über Rationalisierungspotenziale mit Verbindungstechnik und setzt Kundenbeispiele ein, um Einsparungen konkret zu belegen.

Anforderungen an den Verkauf: Der Verkauf verlagert seine Verkaufsargumentation von Verkaufspreisen für Produkte zur Wirtschaftlichkeit für Kunden. Dazu braucht er die Fähigkeit, mit umfassenden Wirtschaftlichkeitsmodellen umzugehen. Er benötigt umfassendere Informationen und andere Ansprechpartner im Kundenunternehmen. Value Selling mündet schließlich auch in eine spezifische Argumentation in Preisverhandlungen.
D’Andrea (2005, S. 18) bringt es wie folgt auf den Punkt: „As pressure to grow earnings (and raise share prices) has increased in recent years, the focus in many sales organizations has shifted from generating revenue volume to executing strategies that build revenue volume profitability. Achieving sales targets is no longer enough; today’s sales professionals are also asked to minimize price and service concessions, keep internal sales support costs low, and build account profit margins.“
Eggert et al. (2015, S. 485ff.) konzentrieren den wertbasierten Verkauf auf das Angebot eines überlegenen Nettonutzens für Kunden. Dazu gilt es,

  1. das Geschäftsmodell des Kunden vertieft zu verstehen: Die Verkäufer müssen „die Geschäftsmodelle und -prozesse ihrer Kunden verstehen und ihnen erklären können, wie und warum der Einsatz ihrer Produkte zu einer Steigerung des wirtschaftlichen Erfolgs des Kundenunternehmens beitragen wird“ (a.a.O., S. 488f.). Dazu braucht es eine wesentlich höhere wirtschaftliche Qualifikation des Verkäufers.
  2. die Value Proposition mit dem Kunden gemeinsam zu entwickeln und monetär zu quantifizieren: Wertbasierte Verkäufer suchen proaktiv und in Zusammenarbeit mit den Kunden nach Möglichkeiten, die Effektivität und Effizienz ihrer Wertschöpfungsprozesse mit Hilfe der angebotenen Güter und Dienstleistungen zu optimieren und erfassen sie monetär. Typisch das Statement des Verkäufers: „Mein Fokus liegt darauf, kundenseitige Möglichkeiten zur Gewinnsteigerung zu identifizieren.“
  3. diese Value Proposition im Unternehmen glaubwürdig zu kommunizieren: „Damit gewinnen alle Maßnahmen, welche die Glaubwürdigkeit des Leistungsversprechens aus Kundensicht untermauern, an überragender Bedeutung für die Umsetzung des wertbasierten Verkaufsansatzes“. Die Maßnahmen reichen von Referenzen und Erfolgsfällen bis zur Reputation und wahrgenommenen Kompetenz des Anbieters.

Teilweise beanspruchen Kunden zwar mehr Wirtschaftlichkeit, konzentrieren sich jedoch weiter auf die Einkaufspreise für Produkte. Ihr Ziel ist es, Mehrleistungen ohne höhere Preise zu erhalten. Ihre Fixierung auf Einkaufspreise ist Taktik. Ebenso scheinen viele Kunden auch nicht in der Lage zu sein (oder einzelne Personen sind nicht dafür verantwortlich), eine höhere Wirtschaftlichkeit einzukaufen. In manchen Branchen beklagen beispielsweise Lieferanten, dass ihre Händler nicht zwischen Marge und absolutem Preis unterscheiden.
Ob Zwischenhandel oder direkter Kunde: Die Widerstände gilt es zu überwinden und die Qualifikation zu steigern. Das fordert den Verkauf laufend heraus. Auch die befragten Praxisexperten betonen, dass ein Beitrag zum Erfolg und zur Wirtschaftlichkeit des Kunden besonders wichtig ist.

Statements aus der Praxis: Die Wirtschaftlichkeit für Kunden ist ein Schlüssel

„Value Selling bedeutet: höhere Marge, Kundenakzeptanz, weniger preissensitive Kunden, weniger Wettbewerb, weg vom dominierenden Preisgespräch!“

„Heutzutage wird noch zu viel Leistung verschenkt.“

„Price is only an issue in the absence of value!“

„Dem Kunden muss klar und transparent aufgezeigt werden, welchen Mehrwert er durch die angebotene Leistung erhält. Mehrwert, den er nicht erwartet, aber bezahlt.“

„Kritisch bleibt der Aufwand für Kunden mit Value Selling im Abgleich mit dem realisierten Mehrwert für das Unternehmen.“

„Der Preis muss stimmen, dann aber Beratung, Liefertreue, Einbezug des Kunden, Customization.“

„Value Selling versagt, wenn er nur einem Partner einen Vorteil bringt.“

Fragen zur Praxis:

  • Wie belegen und kommunizieren Sie eine erhöhte Wirtschaftlichkeit für Kunden?
  • Wie kommerzialisieren Sie die Wirtschaftlichkeitsvorteile?
  • Wie steuern Sie die Wirtschaftlichkeit für Kunden?