Wer auf spannende, deutsche Thriller steht, wird ihn kennen. Veit Etzold gehört in Deutschland zu den wohl bekanntesten und besten Thriller-Autoren und landet mit seinen Büchern regelmäßig in den Top-Ten Bestseller Listen. Er ist gern gesehener Gast und vielfach gebuchter Key Note Speaker auf diversen Veranstaltungen namhafter Unternehmen und berät seine Kunden in strategischen Fragestellungen und zu dem Thema Storytelling. Auch hierzu hat Dr. Etzold eine Handvoll ausgezeichneter Sachbücher geschrieben.
Umso mehr freuen wir uns, Veit Etzold als ausgewiesenen Experten für Storytelling für unsere Interviewreihe „10 Fragen an Vertriebsprofis“ gewinnen zu können. In den folgenden Antworten beschreibt er, was Storytelling im Allgemeinen ist, welche Regeln es zu beachten gilt und wie wir im Vertrieb von der Kunst des Geschichtenerzählens gegenüber unseren Kunden profitieren können.
Christian Peters: Herr Dr. Etzold, Sie sind erfolgreicher Bestseller-Autor. Ihr erster Thriller erschien in 2010. Gab es damals schon „Storytelling“, wie wir es heute kennen? Und hat sich Ihre Expertise zum Thema Storytelling erst aus dem Schreiben heraus entwickelt?
Veit Etzold: Mein erster Thriller „Das große Tier“ erschien im Jahr 2010 und natürlich gab es damals schon Storytelling. Als älteste Kulturtechnik überhaupt ist Storytelling bestimmt mehr als 100.000 Jahre alt. Storytelling als Tool gab es damals vor ca. zehn Jahren in Amerika und den angelsächsischen Ländern schon. In Deutschland war es zu dem Zeitpunkt in 2010 noch längst nicht so verbreitet wie es jetzt ist. Die Technik Storytelling nahm da erst ihren Anfang.
„Viele verkaufen eine Lösung ohne das Problem, für das es dann natürlich keinen Handlungsbedarf gibt… Jede Story ist nur so gut wie ihr Schurke.“
CP: Was sind die „Zutaten“ für eine spannende Story? D.h. wie „würzt“ man sie, um besser zu „schmecken“ als die Geschichte des Wettbewerbs?
Veit Etzold: Die Struktur einer guten Story besteht aus drei wesentlichen Elementen: Ich muss einen Schurken haben. Ich muss ein Problem schaffen und zu guter Letzt eine passende Lösung entwickeln. Viele verkaufen eine Lösung ohne das Problem, für das es dann natürlich keinen Handlungsbedarf gibt.
Hitchcock sagte bereits: „Jede Story ist nur so gut wie ihr Schurke.“ So sehen es auch die meisten Thriller-Autoren, man muss den Schurken vorher kreieren, weil daran die Aufgabe des Helden deutlich wird. Wir brauchen also ein Problem. Dann brauchen wir einen, der das Problem löst und mit Hilfe seiner Story glaubhaft erzählen kann, dass er die richtige Absenderkompetenz hat. Im Elevator-Pitch, im Claim oder einer kurzen Zusammenfassung muss schließlich deutlich rüberkommen, was uns besonders oder anders macht. Ähnlich verhielt es sich mit dem „Alien“-Claim: „der weiße Hai im Weltraum“, den ich interessanterweise auch als Titel für eines meiner Storytelling-Bücher gewählt habe.
„Storytelling bedeutet nicht, etwas Schlechtes mit einer guten Story besser zu machen. Denn Schlecht bleibt Schlecht.“
CP: Und was ist Storytelling nicht bzw. was kann es nicht leisten?
Veit Etzold: Ich unterscheide immer zwischen Storytelling und Fairytelling. Storytelling versucht, etwas was bereits gut ist, noch besser hörbar, noch besser verständlich zu machen. Fairytelling versucht, etwas Schlechtes durch eine gute Story aufzuplustern, quasi durch negative Manipulation besser zu verkaufen. Was Storytelling eigentlich nicht leisten kann und auch nicht leisten sollte, ist etwas Schlechtes mit einer guten Story besser zu machen. Denn schlecht bleibt schlecht. Wer die Werkzeuge des Storytellings kontrolliert, kontrolliert auch die Anwendung davon und ist damit auch verantwortlich. Man sollte Storytelling nicht anwenden, um etwas Schlechtes und Untaugliches zu verkaufen oder andere Menschen zu manipulieren und auszunutzen.
CP: Zurück zu Ihren Romanen. Wo finden Sie Anregungen für eine gute Story oder Ihr nächstes Buch? Sind es die Alltagssituationen oder ist es die Nähe zu besonderen Wissenschaften? Ihre Frau ist bekannterweise Rechtsmedizinerin.
Veit Etzold: Mit der Inspiration ist es ähnlich wie bei Tom Clancy, dem vor kurzem verstorbenen Politthriller-Autor. Die Inspirationen kommen von überall und viele aus der frei zugänglichen Öffentlichkeit. Viele weitere spannende und skurrile Informationen finde ich natürlich auch im Bereich der Rechtsmedizin bei meiner Frau. Hinzu kommt toller, wertvoller Input bspw. von verschiedensten Institutionen wie LKA, Militär oder großen Unternehmen und Investoren; von Menschen, die als Ermittler oder in Elitegruppen arbeiten oder „einfach nur“ Abenteurer sind. Viele Anregungen kommen aber in der Tat aus öffentlich zugänglichen Quellen wie nationalen und internationalen Zeitungen, bspw. der FAZ, der WELT oder Financial Times, New York Times, Foreign Affairs oder dem Economist. Hier gibt es mehr skurrile Dinge, als man sich ausmalen könnte.
„Jeder, der im Vertrieb arbeitet, wird schon einmal Storys erzählt haben.“
CP: Auch Sie müssen Ihre Ideen, Ihre Geschichten zu einem neuen Buch Ihrem Verlag „verkaufen“. Müssen Sie ob Ihres Bestseller-Status selbst noch Storytelling betreiben?
Veit Etzold: Muss ich selbst noch Storytelling betreiben für meine Bücher? Ja, definitiv! Es hängt allerdings ein bisschen davon ab, ob es mit der Agentur oder dem Lektorat bereits einen Vertrag gibt, für den der Inhalt noch geliefert werden muss. Oder ob es ein komplett neues Produkt bzw. Projekt geht. Meine Story darf nicht nur den Endleser überzeugen, sondern auch das Lektorat, den Verlag und weitere Entscheidungsträger. Ähnlich wie in einem Kaufentscheidungsprozess der Kunde überzeugt werden muss. Das heißt, ich wäre selbst ein schlechter Storyteller, wenn ich Storytelling nicht selbst beherrschen und anwenden würde. Gleichzeitig berate ich viele Unternehmen zum Thema Storytelling. Diese Unternehmen muss ich natürlich auch von meinen eigenen Dienstleistungen überzeugen. Hier gilt das gleiche wie bei den Verlagen. Ich mache mich als Storytelling-Experte unglaubwürdig, wenn ich es nicht selbst für mich nutzen würde.
CP: Auf welche Werkzeuge Ihrer „Toolbox“ greifen Sie bei der Vermarktung Ihrer Beratungsleistung zurück? Wie z.B. Social Media, Netzwerke, Kaltakquise, Empfehlungen, etc.?
Veit Etzold: Genau die Dinge und Kanäle, die Sie in Ihrer Frage bereits erwähnt haben. Mit Social Media kann man natürlich unheimlich viel machen. Ich veröffentliche viele kleine Video-Sequenzen mit Postings. Ich schreibe viele Essays bspw. für die European Financial Review, den Harvard Business Manager. Oder ich schreibe Fach-Bücher für den Gabal- oder Wiley-Verlag. Die Thriller helfen natürlich auch. Sie zeigen, dass ich nicht nur die Business Welt kenne und verstehe, sondern eben auch spannende Storys entwickeln, erzählen und verkaufen kann. Auf die klassischen Instrumente wie Telefonate und Emails greife ich auch zurück. Für die Kaltakquise habe ich bspw. eine Managerin, die mir dabei sehr hilft. Nicht zuletzt bekomme ich Anfragen von Interessenten und Kunden, die erfreulicherweise proaktiv oder durch Empfehlungen auf mich zukommen.
„Jede gute Vertriebsstory fängt mit einem Problem also einem Schurken an, der dem Kunden ggf. noch gar nicht bewusst war.“
CP: Nicht jeder Verkäufer ist der geborene „Geschichtenerzähler“. Wie kann ich als normaler Vertriebler Storytelling in meinem Vertriebsalltag anwenden?
Veit Etzold: Ja, es stimmt, nicht jeder Vertriebler ist der geborene Storyteller. Aber jeder, der im Vertrieb arbeitet, wird mit Sicherheit schon einmal Storys erzählt haben. Es ist eigentlich ganz einfach: „Lieber Kunde, das hier ist der Schurke, der Dir das Leben schwer macht. Und genau dafür gibt es eine Lösung.“ Der Kunde muss im Verkäufer den Helden sehen und überzeugt sein, dass er die beste Lösung im Vergleich zu allen anderen Wettbewerbern bietet. Die Verkaufsstory adressiert ein Problem und verspricht, das Problem zu lösen. Eine Lösung ohne Problem kann nicht vermarktet werden. Von daher fängt jede gute Vertriebsstory mit einem Problem / einem Schurken an, das dem Kunden ggf. noch gar nicht bewusst war.
CP: Vielen Vertrieblern erscheint der Alltag als zu profan für eine spannende Story. Was halten Sie von dieser Denke?
Veit Etzold: Es ist schon oftmals so, dass nur die großen Heldenstorys mit spannenden Storys in Verbindung gebracht werden. Andererseits stellen wir doch alle fest, dass jedem, der im Freundeskreis spannende Geschichten aus dem Alltag erzählen kann, dem- oder derjenigen gerne zugehört wird. Das können Witze oder allgemeine Erlebnisse oder was auch immer sein. Es müssen nicht immer die ganz großen Heldengeschichten sein, sondern oftmals auch die profanen Dinge. Achten Sie mal drauf: interessante und spannende Geschichten beinhalten ein „Desaster“ und ein Happy End. Also das, was man beim guten Storytelling immer braucht. Dann kann es auch eine Geschichte aus dem Alltag sein.
„Einer Geschichte hören die Menschen eher zu, als wenn man 100 Powerpoint Folien ankündigt.“
CP: Gibt es „Trigger“-Worte oder Phrasen, die besonderen Effekt erzielen?
Veit Etzold: Ein ganz wichtiger Trigger ist grundsätzlich zu sagen: „ich habe eine interessante, schöne, spannende Geschichte“ oder „Habt Ihr schon gehört, dass… ?“ Dann hören die Leute meistens zu, da sie sich von der Story wichtigen und wertvollen Input erhoffen, durch den sie in ihrer „feindlichen Welt“ überleben können. So sind ja Storys konzipiert: als Best Practice des Überlebens in einer feindlichen Welt. Und wann immer man angibt, eine Geschichte erzählen zu wollen, hören die Leute eher zu, als wenn man 100 Folien Powerpoint ankündigt.
CP: Wie kann ein Unternehmen seine Mitarbeiter bei der Entwicklung von Storytelling-Skills am besten unterstützen?
Veit Etzold: Ich biete speziell konzipierte Workshops zum Thema Storytelling, maßgeschneidert für Unternehmen und Führungskräfte an, in denen die Manager ihre eigene Absender-Story, ihre Überzeugungs-Story aber auch ihren Elevator-Pitch unter Anleitung entwickeln. Mit der richtigen theoretischen Anleitung kann man das auch selber machen. Mit einem externen Story-Telling Profi ist einfacher. In jedem Fall sollte man sich ausreichend und ungestört Zeit nehmen, um sich die Grundprinzipien des Storytellings anzuschauen und mit seinen Mitarbeitern zu üben. Storytelling ist kein Hexenwerk, es wird nur einfach viel zu wenig gemacht und geübt. Viele denken, Storytelling sei Glückssache, man müsse bestimmte Voraussetzungen mitbringen oder es funktioniert schon irgendwie. „Geschichten erzählen“ kann jeder, der die Regeln kennt und übt. Die meisten Menschen können das auch spontan. Wenn es aber drauf ankommt und man mit seiner Story auch etwas bewegen will, dann muss es schon – wie man so schön sagt – „engineert“ werden.
CP: Sie selber sind recht aktiv in Social Networks. Wie wird, Ihrer Ansicht nach, eine gute Story am besten im Social Selling genutzt?
Veit Etzold: Am besten nutzt man eine Story im Social Network, indem man dort eine Geschichte über ein Ergebnis erzählt, welches erreicht wurde. Oder man erzählt über ein Hindernis, welches erfolgreich überwunden wurde. Paradoxe Ereignisse eignen sich auch sehr gut, um etwas Mysteriöses für alle verständlich zu machen. Besonders hilfreich sind natürlich die vielen interaktiven Instrumente und Wiedergabeformate wie Videos, Bilder, etc.
„Da wir Menschen nicht alle Informationen aufnehmen können, müssen wir uns kurz und knapp fassen … Und das ist Storytelling.“
CP: Welche Entwicklung sehen Sie als Experte in Bezug auf Storytelling in der Zukunft?
Veit Etzold: Wenn Sie mich so fragen, kann ich natürlich bestätigen, dass Storytelling immer wichtiger und der Bedarf nach Professionalisierung größer wird. Nun ist es auch objektiv so, dass bei all der weltweiten Komplexität, bei der wiederkehrenden Finanzkrise, der Globalisierung, Digitale Transformation, neue Geschäftsmodelle, künstliche Intelligenz, etc. es zunehmend notwendig wird, eine komplexer werdende Welt erklären zu können. Da wir Menschen nicht alle Informationen aufnehmen können, müssen wir das kurz und knapp fassen mit dem Werkzeug, dem wir Menschen schon immer zugehört haben. Und das ist Storytelling.
CP: Was lesen Sie privat? Eher Thriller oder Sachbücher? Und welches Buch liegt derzeit auf Ihrem Nachttisch?
Veit Etzold: Hmmm, was lese ich privat? Eigentlich beides. Interessanterweise lese ich sowohl Thriller, als auch viele Sachbücher aus dem angelsächsischen Bereich. Besonders die Sachbücher decken aktuelle Themen besser ab und sind ein bisschen weiter, als viele deutsche Sachbücher. Hieraus ziehe ich auch bspw. gute Ideen, Informationen und Impulse für meine Politthriller. Bei den Thrillern gibt es mittlerweile auch einige sehr gute aus dem deutschen Raum, die ich gerne gelesen habe. Auf meinem Nachttisch liegt im Moment „Eine kleine Geschichte der Welt“ von dem Kunsthistoriker Ernst H. Gombrich. Da meine Frau früher ins Bett geht als ich und ich sie mit dem hellen Licht meiner Nachttischlampe wecken würde, liegt da eigentlich immer nur mein E-Reader. Auf diesem lese ich gerade „The One Hour China Book“. Keine Ahnung, wer die Autoren sind. Ich glaube, zwei McKinsey Berater. Eigentlich sollte ich mich als Autor an Autorennamen erinnern.
CP: Könnten Sie sich auf vorstellen, einmal ein Kinderbuch zu machen?
Veit Etzold: Einmal ein Kinderbuch zu schreiben, könnte ich mir sehr gut vorstellen. Sie werden lachen, hierzu hatte ich in der Tat bereits einige Ideen. Das Problem allerdings ist nicht nur die Idee, sondern insbesondere die Vermarktung. Man muss jemanden finden, der die Idee annimmt, das Buch druckt, gut vermarktet und dann auch verkauft. Ich habe ja auch schon einmal zwei Jugendthriller geschrieben: „Spiel des Lebens“ und „Spiel der Angst“. Beide Bücher hatten gute bis sehr gute Kritiken. Insbesondere bei den weiblichen Lesern. Leider sind die beiden Bücher nicht optimal vermarktet worden. Wenn das passiert und die Story dann hinter dem Produkt nicht stimmt, ist auch das Produkt nicht sichtbar. Deswegen betone ich immer wieder: die Story, die nach außen getragen wird, ist in einer überkommunizierten Welt immer mindestens genauso wichtig, wie die Story im Innern.
CP: Vielen Dank, Herr Dr. Etzold, für das tolle und interessante Interview.
Das Interview führte Christian Peters, Leiter Marktentwicklung bei Mercuri International.