In dem folgenden Interview unserer Rubrik „10 Fragen an Vertriebsprofis“ sprechen wir mit Frederik Pleitgen, Senior International Correspondent bei CNN. Frederik hat mit Vertrieb eigentlich nicht direkt etwas zu tun. Oder doch?
Frederik Pleitgen gehört mittlerweile zu den gefragtesten und bekanntesten Journalisten weltweit und geht als Kriegsberichterstatter in jene Krisen- und Kriegsgebiete, in die sich nur ganz wenige Reporter trauen. Er führt Interviews mit politischen Schwergewichten, steht für CNN oft vor der Kamera und ist selber ein gefragter Gast in zahlreichen Talkshows.
Da liegt es nahe, offensichtliche Analogien zwischen seiner Tätigkeit als Journalist einerseits und der Arbeit im Vertrieb andererseits abzuleiten; wie bspw. die Anwendung von Fragetechniken, Stressbewältigung, Storytelling, etc. Nach mehrmaligem Lesen seiner Antworten wurde mir allerdings klar, dass herausgestellte Vergleiche in diesem Kontext deplatziert sind. Demnach lade ich jeden Leser des Interviews herzlich ein, die für sich hilfreichen Analogien und Impulse selber herauszufinden.
Da Frederik und ich uns aus gemeinsamen Schultagen kennen, fragte ich ihn spontan, ob er für ein Interview zur Verfügung steht. Ohne zu zögern sagte er ja. Demnach gilt ihm als auch dem Sender CNN mein ganz besonderer Dank für die Möglichkeit, uns Vertrieblern ein paar Eindrücke seiner Journalisten-Tätigkeit zu geben.
Christian Peters: Frederik, vor ein paar Wochen warst Du noch in Syrien in Aleppo, kurze Zeit später in Berlin, hast zwischendurch Gerhard Schröder getroffen und bist jetzt wieder in Moskau, Deinem Zweitwohnsitz. Wie fühlst Du Dich zwischen Krisengebiet, Privatleben und „Altkanzler-Interview“?
Frederik Pleitgen: Ein rekordträchtiger, vollgepackter Terminkalender, an den ich mich erinnern kann, begann mit einem kurzen Aufenthalt in Wladiwostok Ostrussland. Von dort aus bin ich dann direkt mit der russischen Armee nach Syrien geflogen. Dort war ich mehrere Tage im Einsatz. Von dort aus ging es zurück nach Moskau – kurzer Zwischenstopp – dann weiter nach St. Petersburg zu einem Manöver der russischen Armee. Danach ging es dann nach Berlin, um von dort aus weiterzuarbeiten.
Man muss mit Müdigkeit sehr gut umgehen können. Auch wenn man sehr abgespannt ist und sich etwas krank und schlecht fühlt, muss man sich dennoch immer auf neue, unvorhergesehene Situationen vorbereiten. Das bedeutet auch, dass man mit dem örtlichen und thematischen Wechsel zwischen Kriegs- und Krisengebieten einerseits und bspw. einem Wirtschaftsforum andererseits klarkommen muss. Diese Belastung darf man nicht an sich heranlassen und stattdessen die Professionalität in den Vordergrund stellen.
Ganz wichtig ist es, sich trotzdem, auch wenn man nur wenig Zeit hat,
auf Interviews gut vorzubereiten. Jeder Interviewpartner will und
sollte das Gefühl haben, dass man ihn ernst nimmt und dass man an ihm
und seinem Anliegen interessiert ist. Und dieses Gefühl muss man
natürlich auch vermitteln, wenn man gerade vorher ganz woanders im
Einsatz war und vielleicht nicht mehr den nötigen Elan hat, noch ein
Interview durchzuführen. Manchmal schwierig, aber es lässt sich machen.
„… eine Grundstruktur eines Interviews ist wie eine Verfassung eines Landes. So konkret wie nötig, so flexibel wie möglich…“
CP: Du reist um den ganzen Erdball und triffst die mächtigsten Menschen der Welt. Aber auch Du bist mittlerweile einer der bekanntesten Journalisten weltweit. Bittest Du Deine Gesprächspartner noch selbst um ein Interview?
Frederik Pleitgen: Es ist ganz unterschiedlich. Manchmal bitte ich selbst meine Gesprächspartner um Interviews, gerade wenn man auf einem Dreh ist und spontan und schnell mit anwesenden Personen ein Interview führen will. Von Russland oder Berlin aus starte ich bspw. selbst Anfragen. Große Interviews oder Interviews, die man in einem anderen Land anfragen muss, werden von einem Mitarbeiter vom Sender initiiert. Die Herangehensweise ist unterschiedlich. Im Endeffekt zählt das Resultat, dass man die Zusage für das Interview bekommt und dann auch richtig gut durchführt.
CP: Wie bereitest Du Dich auf ein Interview mit Deinen Gesprächspartnern vor? Gibt es eine Grundstruktur, der Du folgst?
Frederik Pleitgen: Das ist bei uns ein ganz
wichtiger Aspekt. Ich glaube, dass eine gute Vorbereitung auf ein
Interview ganz klar dazugehört. Man muss sich sehr intensiv vorbereiten
und versuchen, alles über den Interviewpartner und die Gesprächsthemen
in Erfahrung zu bringen. Ansonsten läuft man Gefahr, unprofessionell und
oberflächlich zu wirken.
Ich denke eine gute Grundstruktur ist so
etwas wie eine Verfassung eines Landes. Einerseits konkret genug, um
wirksam zu sein. Andererseits flexibel genug, um in gewissen Situationen
im Interview von einem Thema abweichen zu können und einen alternativen
Weg einzuschlagen.
Ich glaube, man sollte versuchen, für sich eine Grundstruktur und einen Grundaufbau zu formulieren, in welche Richtung man ein Interview steuern möchte. Wenn sich das Gespräch dann in eine andere Richtung entwickelt oder weitere Themen interessant werden, muss man die Flexibilität haben, in diese Richtung mitzugehen. Hierbei ist ein gewisses Grundwissen absolut notwendig, um die passenden Fragen stellen zu können.
Es ist also ganz wichtig, dass der Interviewpartner und der
Journalist ein Interview quasi gemeinsam gestalten und dem zusammen auch
eine Richtung geben. Auch wenn man im Interview „der Chef im Ring“ sein
sollte, um an die richtigen Informationen zu gelangen, muss der
Interviewpartner die Freiheit haben, das sagen zu können, was er oder
sie loswerden möchte.
„… Grundregel Nr. 1: geschlossene Fragen führen zu keinen Antworten…“
CP: Wie im Vertrieb gibt es auch im Journalismus bestimmte Fragetechniken, um möglichst viele Informationen zu bekommen. Wie sieht bei Dir das Gesamtpaket aus Sprache und Körpersprache aus?
Frederik Pleitgen: Es gibt natürlich auch bei uns im Journalismus gewisse Fragetechniken und Fragestrategien, um möglichst viele Informationen von seinem Interviewpartner zu erfahren. Dabei sollte dieser sich zu jedem Zeitpunkt komfortabel fühlen, umfangreiche Antworten zu geben.
Wir haben natürlich die allseits bekannte Grundregel, dass man keine geschlossenen Fragen stellen sollte. Die Gefahr keine Antworten zu bekommen, ist dabei sehr groß. Wichtig ist, die Fragen so zu formulieren, dass der Gesprächspartner einen leichten Einstieg in seine Antworten findet. Gleichzeitig sollte zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit eines thematischen „Einwurfs“ oder einer Zwischenfrage gegeben sein, um die Richtung zu ändern oder mehr Informationen zu bekommen. Hierbei spielt der Respekt seinem Gegenüber eine sehr große Rolle, insbesondere dann, wenn man seinen Interviewpartner mitten in seiner Antwort unterbricht.
Eine andere Form der Technik ist, keine Frage zu stellen, sondern einen Halbsatz oder eine Aussage zu äußern und seinen Gesprächspartner darauf reagieren zu lassen. Ein Interview ist ein komplexes Konstrukt. Die eigene Strategie muss zum Ziel haben, so viele Informationen und Aussagen wie möglich aus dem Interviewpartner herauszubekommen.
CP: Wie baust Du Vertrauen zu reservierten, skeptischen Gesprächspartnern auf? Und gibt es so etwas wie DO´s and DONT´s in Interviews?
Frederik Pleitgen: Gewisse DO´s und DONT´s gibt es sicher. Ehrlich gesagt habe ich mir darüber noch nie wirklich Gedanken gemacht. Arroganz ist sicherlich fehl am Platz. Stattdessen sollte man dem Interviewpartner das Gefühl geben, dass er oder sie im Mittelpunkt steht und nicht der Reporter. Ich versuche Vertrauen aufzubauen, in dem ich ein Vorgespräch führe und dieses nutze, um auf der zwischenmenschlichen Ebene einen Nenner oder Gemeinsamkeiten zu finden. Hierbei können gemeinsame Hobbies oder gemeinsame Interessen das Eis brechen.
Diese Gemeinsamkeiten und die daraus positive Stimmung versuche ich auf das Interview zu übertragen. Grundsätzlich finde ich den offenen Dialog mit abwechselnden Gesprächsanteilen viel besser, als die strikte Frage und Antwortstruktur, die meistens „hölzern“ rüberkommt.
Ein vertrauensvolles Verhältnis zum Interviewpartner schlägt sich
schnell positiv im Interview nieder. Sowohl in Bezug auf Offenheit, als
auch bei der Freude am Gespräch. Unangenehm wird es, wenn der
Interviewpartner merkt, dass man keine Ahnung von der Thematik hat. Die
Lust an dem Gespräch ist dann relativ schnell verflogen.
Es gehört
einfach zum gegenseitigen Vertrauen und zur Wertschätzung dazu, dass man
dem Gegenüber vermitteln kann, dass man sich sauber auf das Gespräch
und das Thema vorbereitet hat und am Thema selbst interessiert ist.
Beide haben ja quasi das gleiche Ziel: beide Seiten wollen bestmöglich
sehr gute Informationen Dritten gegenüber zur Verfügung stellen. Auch
wenn das Thema vielleicht konfrontativ sein kann. Auch das gehört dazu.
Konfrontative Interviews können die besten Interviews sein, wenn man das
Ganze auf respektvolle Art und Weise macht.
„… Konfrontative Interviews können die besten Interviews sein, wenn man das Ganze auf respektvolle Art und Weise macht…“
CP: Für Vertriebler gibt es unzählige Trainings und Coachings am Markt, um Kundengespräche durch Interviewtechniken zu optimieren. Hast Du solche Trainings für Deinen Beruf auch gemacht oder trainierst Du ggf. immer noch ab und zu?
Frederik Pleitgen: Ich habe während meines Studiums
in der Uni und auch am Anfang meiner Journalistenkarriere ein paar Kurse
gemacht, wie man Interviewtechniken erlernt und einsetzt. Diese können
hilfreich sein, wenn sie auf die Situation des Coachees oder
Trainingsteilnehmers zugeschnitten sind.Strukturen oder Leitfäden von
der Stange, die ein Trainer aus der Schublade zieht, sind meist nicht
umsetzbar. Darüber hinaus ist es wichtig, dass man seine eigene
Persönlichkeit, Lockerheit und Authentizität beibehält
Die
meisten Coachings – und hier spreche ich für meinen Job – orientieren
sich an Situationen, die die Coaches für sich durchlebt haben, aber
wenig Bezug zu meinen Interview-Situationen hatten. Jedes Gespräch ist
anders und entwickelt sich unterschiedlich.
Ich habe relativ
schnell die für mich die richtige Art und Weise gefunden und von
Gespräch zu Gespräch gemerkt, wie ich am besten eine Verbindung zu
meinem Gesprächspartner aufbaue. Coachings können helfen, die für sich
hilfreichen Aspekte anzunehmen und in die eigene Gesprächsstrategie
einzubauen. Die direkte Umsetzung eines Trainerleitfadens kann
funktionieren,wenn der Praxisbezug vorhanden ist. Das beste Coaching ist
das Anschauen der eigenen Beiträge im Nachhinein. Daraus ergeben sich
Learnings, was man im nächsten Interview besser oder anders machen kann.
Im Endeffekt hilft nur Praxis.
„… Das schlimmste in unserem Job ist Monotonie…“
CP: Sowohl in Interviews, als auch als Korrespondent vor der Kamera: Welche Bedeutung hat „Story Telling“ für Dich im Rahmen Deiner Berichterstattung? Oder ist Story Telling eher kontraproduktiv?
Frederik Pleitgen: „Storytelling“ ist ein weitgefasster Begriff, der sehr viel beinhalten kann. Es spielt natürlich eine Rolle, dass man versucht eine Struktur und Höhepunkte in das Gespräch hineinzubringen, um eine Spannung aufzubauen. Das ist nicht nur in Fernsehberichten sehr wichtig, die in der Nachbearbeitung geschnitten werden. Auch Interviews werden – sofern sie nicht live sind – im Nachhinein so geschnitten, um ihnen eine gewissen Dynamik zu geben. Dabei darf natürlich der Sinn des Ganzen nicht verfälscht werden.
Storytelling passiert auf einer strategischen wie auf einer taktischen Ebene. Eine mögliche Vorgehensweise kann sein, Höhepunkte bewusst auf- und wieder abzubauen, um die Aufmerksamkeit der Gesprächspartner durch bestimmte Formulierungen zunächst „oben“ zu halten, aber andererseits ihnen anschließend die Chance zu geben, gedanklich durchzuatmen.
Die Herausforderung hierbei ist, dass Fernsehberichte in der Regel
sehr kurz sind. Wenn der Zuschauer oder Zuhörer bspw. nur wenige
Sekunden „abwesend“ ist, hat er oder sie möglicherweise viele
Informationen des Berichts verpasst.
Mit dieser Frage befasse ich
mich sehr oft und intensiv, wie es mir gelingen kann, Beiträge
einerseits unterhaltsam zu gestalten und andererseits gleichzeitig den
Informationstransport zu gewährleisten.
Eine Grundstruktur und Basishandgriffe des Storytellings sollte man
verinnerlicht haben. Gerade, wenn man als Journalist oder Reporter
anfängt. Aber – ähnlich wie bei Interviewtechniken – sollte man sich
nicht rigide an Strukturen entlanghangeln.
Wie mit allen anderen
Dingen auch. Durch gelebte und wiederholte Praxis wird man zunehmend
sicher und kompetent, kann situativ divergieren und ggf. auch mal neue
Wege gehen. Das schlimmste in unserem Job ist Monotonie.
CP: In der heutigen Zeit der Informationsflut wird es immer schwieriger, die eigene Botschaft in der Medienlandschaft zu platzieren. Auf welche Methoden greifst Du zurück, um „sichtbar“ zu bleiben?
Frederik Pleitgen: Gerade in der heutigen Zeit ist es immens wichtig, sichtbar und im Gespräch zu bleiben. Eine Gefahr dabei kann sein, sich unbewusst lächerlich zu machen. Gerade Politiker neigen in und wieder dazu, fragwürdige und lächerliche Aktionen zu machen, um vor die Linse einer Kamera zu kommen. Dieses Verhalten schadet auch dem Journalisten mehr, als dass es ihm nutzt. Ich überlege mir schon sehr genau, was ich mache, wie ich es mache und welches Resultat – hier die Story oder der Bericht – mein Handeln mit sich bringen kann.
Auch ich nutze die Sozialen Medien. Aber so sehr Social Media die Arbeit der Journalisten unterstützen, so schnell kann man in unbequeme Situationen im Umgang damit geraten. Unbedachte Nutzung kann bspw. dazu führen, eine große Anzahl von Followern oder Usern gegen sich aufzubringen, um dann wiederum unnötig Zeit für Gegendarstellungen aufzuwenden.
Ja, man muss sichtbar bleiben, aber nicht die Selbstdarstellung seht
hierbei im Vordergrund. Sondern eine qualitativ hochwertige
Berichterstattung. Wenn meine Arbeit gut ist und meine Botschaft bei so
vielen Menschen wie möglich objektiv ankommt, bleibe ich automatisch
sichtbar.
„… ich weiß noch, als zum ersten Mal auf mich geschossen wurde. Im ersten Moment war ich geschockt…“
CP: Frederik, Du berichtest sehr oft aus Krisengebieten, wie Syrien, dem Irak, Georgien oder Lybien, aus denen viele Menschen flüchten? Wie bereitest Du Dich auf diese Extremsituationen vor, d.h. wie motivierst Du Dich für unangenehme Tätigkeiten?
Frederik Pleitgen: Wir bereiten uns alle, die für CNN arbeiten, auf Extremsituationen vor. Wir haben alle so genannte „Schlachtfeld-Erste-Hilfe-Kurse“, „Krisen- und Kriegsgebietskurse“ gemacht, in denen man lernt, mit diesen Situationen umzugehen. Aber solche Kurse sind eben nur theoretisch. In etwa so, wie man die theoretische Prüfung beim Führerschein macht. Auf dem Papier weiß man, was zutun ist, auf der Straße kann man es noch lange nicht.
Auch hier ist die Praxiserfahrung entscheidend. Es gibt Situationen, auf die man sich vorbereiten kann. Bspw. wie man sich bewegt oder kommuniziert, wem man vertrauen kann und welche Personen man eher meidet. Auf viele Dinge kann man sich einfach nicht vorbereiten. Ich erinnere mich daran, als zum ersten Mal auf mich geschossen wurde. Im ersten Moment war ich geschockt und ich musste schnell lernen, mit dieser Extremsituation klarzukommen und die richtigen Handlungen abzuleiten. Es wird dann einfacher, je öfter es passiert.
Viel schlimmer ist – worauf einen keiner vorbereiten kann – wenn man großes Elend, viele Leichen in Kriegsgebieten oder durch Naturkatastrophen sieht. Insbesondere, wenn es Kinder betrifft. An solche Bilder gewöhne auch ich mich nicht. Diese Situationen sind schlimm und bleiben schlimm.
Allerdings ist es meine Entscheidung, die ich immer wieder aufs Neue treffe, dort „hineinzugehen“ (hier: Krisen- / Kriegsgebiet). Meine Motivation hierzu ist meine Überzeugung, dass es im Rahmen der objektiven Berichterstattung wichtig ist, in diese Gebiete zu gehen und die Situationen zu zeigen. Und zu gewährleisten, dass durch unsere Arbeit die wichtigen Informationen bei möglichst vielen Menschen ankommen.
CP: Und wie gehst Du vor Ort und auch nach Deinen Reisen mit dem Stress und den negativen Ereignissen um?
Frederik Pleitgen: Vor Ort ist der Stress
grundsätzlich immer sehr groß und resultiert aus verschiedenen Ursachen.
Zwei Faktoren sind Technik und Zeit; wenn bspw. unsere
Übertragungstechnik in abgelegenen Gebieten nicht funktioniert, wir aber
den Beitrag zu einem bestimmten Zeitpunkt in den Sender bekommen
müssen. Diese Stressfaktoren bekommen dann eine besondere Gewichtung,
wenn wir uns zusätzlich in Extremsituationen befinden, bspw. in einem
Kriegsgebiet oder in einem Flüchtlingslager ohne ausreichend
Trinkwasser- und Nahrungsversorgung. Allein dort zu sein, ist schon
schwierig; geschweige denn zu arbeiten – teilweise bis zu 36 Stunden
ohne Schlaf.
„… meine Motivation und Stressbewältigung ist das Erreichen kleiner Etappenziele…“
Meine Motivation und Stressbewältigung liegt darin, sich auf das nächste „Etappenziel“ zu konzentrieren und daraufhin zu arbeiten: die nächste Liveübertragung, die Fertigstellung eines Berichts, Vorbereitung auf Interviews, etc. Das Erreichen der Etappenziele ist wie kleine Erfolgserlebnisse, die ich für mich „verbuche“.
Diese Art der Motivation ist teilweise sehr mühsam und ich will auch
nicht behaupten, dass mir das immer gut gelingt. Aber alles in Allem
funktioniert es.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der
vertrauensvolle und respektvolle Umgang im Team. Ich vertraue meinen
Kollegen und meine Kollegen vertrauen mir, da wir alle gemeinsam
versuchen, auf ein gutes Ergebnis zu kommen. Auch hierbei stößt man als
Team hin und wieder an Grenzen. Aber die Situation lässt uns dann
einfach keine Wahl, als Team weiterzumachen und eine erfolgreiche
Berichterstattung abzuliefern.
CP: Hast Du in Deinem Leben als Korrespondent jemals ans Aufhören gedacht und den Sinn für Deine gefährliche Tätigkeit in Frage gestellt?
Frederik Pleitgen: Ich will nicht verhehlen, dass ich ab und zu ans Aufhören gedacht habe oder zumindest mit dem Gedanken gespielt habe, meinen Journalistenjob gegen Büro und Anzug zu tauschen. Aber ein Job dauerhaft am Schreibtisch wäre nichts für mich. Komischerweise kommen diese Gedanken selten in den Situationen, in denen ich im harten Einsatz oder im Kriegsgebiet bin. Natürlich denke ich auch darüber nach, wie lange ich das Ganze machen will. Aber auch davon bin ich zum jetzigen Zeitpunkt noch relativ weit entfernt.
CP: Du bist in den Sozialen Medien wie Facebook und Twitter sehr aktiv. Wie hat die Existenz dieser Plattformen und die Nutzung Dein mediales Verhalten verändert? Und welche Bedeutung haben Twitter und Facebook für Deine Berichterstattung?
Frederik Pleitgen: Soziale Medien haben in den letzten Jahren vieles im Bereich des Journalismus verändert. Teilweise zum Besseren, vieles auch zum Schlechten. Facebook spielt für mich im Job gar keine Rolle, eher auf der privaten Ebene. Instagram kann beruflich hingegen relativ wichtig und hilfreich sein, wenn man dadurch eine große Anzahl an Followern erreicht oder ich von aktiven Nutzern selbst Tipps und wichtige Informationen bekomme.
Das bei weitem wichtigste Medium für uns ist leider Twitter. Warum
leider? Nun, Informationen, die über Twitter verbreitet werden, können
sehr roh, teilweise auch falsch sein. Es gibt uns eine Art Hinweis
darauf, dass in der Welt an bestimmten Orten etwas passiert und wir
dahingehend Recherchen beginnen. Ich selber würde nie alleine auf
Twitter vertrauen aber zumindest erhalte ich Anhaltspunkte, worüber die
Menschen diskutieren.
„… die Atmosphäre bei Twitter ist toxisch, … , ich würde nie alleine auf Twitter vertrauen…“
Ein anderer Negativaspekt an Twitter ist zweifelsohne, dass es ein großes Megaphon für Kritiker und sonstige Scharlatane ist, die einem „ans Leder“ wollen. Gerade wenn ich in kontroversen Gebieten, z.B. im Iran oder in Syrien bin, richten sich viele Hasskampagnen gegen mich. Üble Nachrede von Menschen, die in Twitter anonym bleiben, sind leider an der Tagesordnung. Ich für mich habe irgendwann entschieden, Twitter als ein Medium zur Informationsgewinnung einzusetzen. Ich selber möchte mich dort nicht unbedingt ausbreiten und meine Meinung kundtun. Ich würde die Atmosphäre bei Twitter als „toxisch“ bezeichnen, die dem Journalismus bislang nicht gutgetan hat.
CP: In einem früheren Interview sagtest Du, dass Du den Vorsatz hast, jedes Jahr etwas zu tun, das Du zuvor noch nie gemacht hast. „Raus aus der Komfortzone“ ist auch eine beliebte Floskel im Vertrieb. Was hast Du für 2019 vor?
Frederik Pleitgen: Ich nehme mir in der Tat jedes Jahr vor, etwas zu tun, was ich vorher noch nie gemacht habe. Aber selten plane ich diese Dinge. Oft passiert das ganz einfach. Es gab natürlich große Einschnitte in meinem Leben, als ich (geplant) in ein neues Land umgezogen bin. Damals nach London, in 2017 nach Moskau. Interessanterweise sind neue, einschneidende Erlebnisse eher auf mich zugekommen, als dass ich sie bewusst geplant hätte.
In 2016 bspw. hatte ich die Möglichkeit zum ersten Mal den nahen Osten von Russland zu besuchen, in 2015 reiste ich mit der russischen Armee nach Syrien. Ich darf mich glücklich schätzen, dass ich als Journalist in all den vergangenen Jahren die Möglichkeit bekam, Länder und Gebiete wie Iran, Syrien, Lybien zu bereisen oder Teile des Arabischen Frühlings mitzuerleben.
Und derzeit ist die Nachrichtenagenda so schnelllebig und gefüllt, dass ich sicher sein kann, dass immer etwas Neues irgendwo auf der Welt passiert. Das bedeutet für mich, mich weiterhin auf neue Situationen, neue Länder und Menschen einstellen zu müssen bzw. zu dürfen. Für mich persönlich ist diese Entwicklung sehr gut. Dadurch bleibe ich jung (Frederik lacht) und ich muss ausgetrampelte Pfade für neue Wege verlassen. Das schlimmste für mich wäre, in einer Komfortzone gefangen zu sein, mein Job nur noch aus Routine bestünde und ich mich nicht mehr auf neue spannende Dinge einlassen dürfte.
CP: Welchen Menschen würdest Du gerne treffen und um ein Interview bitten?
Frederik Pleitgen: Es gibt natürlich einige Persönlichkeiten, die ich gerne interviewen möchte. Am liebsten hätte ich gerne ein Interview gemeinsam mit Donald Trump und Vladimir Putin zusammen. Beide würde ich einfach mal fragen, wie sie zueinanderstehen, wie sie sich die nächsten paar Jahre vorstellen. Ich würde sie fragen, was ihrer Meinung nach in der Welt passieren sollte und wie sie aufeinander zugehen könnten, damit wir alle ein bisschen ruhiger schlafen können.
CP: Frederik, ich danke Dir für Deine Zeit und das außergewöhnliche und sehr spannende Interview.
Das Interview führte Christian Peters, Leiter Marktentwicklung bei Mercuri International – Ihrem Partner für Sales-Training, Vertriebstraining und Verkaufstraining.